#07 Darf der Staat eigene Software unter einer Open-Source-Lizenz veröffentlichen?
Die Frage mag auf den ersten Blick erstaunen. Die Offenlegung des Quellcodes hatte beim E-Voting System im Jahre 2019 erhebliche Mängel zutage gefördert. Das hatte zur Folge, dass die neuen Rechtsgrundlagen für E-Voting ausdrücklich die Veröffentlichung von Quellcode und Dokumentation vorschreiben - aus Sicherheitsüberlegungen und zum Schutz der verfassungsmässigen Rechte der Bürgerinnen und Bürger. Dennoch: die Offenlegung ist keine Selbstverständlichkeit. Ein Beitrag von Timur Acemoglu.
Timur Acemoglu ist Rechtsanwalt und berät öffentliche Gemeinwesen in Fragen des E-Government-Rechts.
Einmal entwickeln – mehrmals anwenden.
Die erste E-Government-Strategie der Schweiz vom 24. Januar 2007 definierte den Grundsatz «einmal entwickeln – mehrmals anwenden.» Da in den meisten Verwaltungsstellen dieselben oder ähnliche Prozesse zur Erbringung der Leistungen ablaufen, sollen durch Standardisierung und gemeinsame Lösungen die Kosten reduziert und die Benutzerfreundlichkeit verbessert werden.
Die E-Government Strategie 2016-2019 postulierte unter dem strategischen Ziel der Nachhaltigkeit:
«Um Investitionssicherheit zu garantieren und die Wiederverwendung von E-Government-Lösungen zu fördern, ist Nachhaltigkeit im Betrieb nötig. E-Government zeigt am meisten Wirkung, wenn projektspezifische lokale, regionale oder nationale Kooperationen gebildet werden. Basismodule für die Ausbreitung von E-Government werden einmal realisiert und gemeinsam genutzt.»
Demgegenüber kann eine Offenlegung oder Weitergabe von Software, über deren Urheberrechte der Staat verfügt, auch als Wirtschaftstätigkeit des Staates in Konkurrenz zur Privatwirtschaft betrachtet werden. Verschiedene politische Vorstösse haben sich in der Vergangenheit mit dieser Thematik befasst.
Gutachten
Zu dieser Fragestellung sind zwei juristische Gutachten von Interesse, welche sich zur Zulässigkeit der Weitergabe von Software durch Träger von Verwaltungsaufgaben an andere Verwaltungsstellen von Bund und Kantonen oder an Private äussern.
Das Gutachten Vogel/Müller vom 26. April 2014 kam zum Schluss, dass der Staat eine selbst entwickelte Software nach der geltenden Verfassungsordnung nur mit einer Grundlage in einem formellen Gesetz als kostenlose Open Source Software (OSS) veröffentlichen bzw. weitergeben darf.
Ein Gutachten im Auftrag des Kantons Bern (Gutachten Poledna/Schlauri vom 18. August 2016) kam zu einem anderen Ergebnis. Demnach ist es in den meisten Fällen ohne spezifische rechtssatzmässige Grundlage zulässig, dass der Staat Software, die er selber nutzt, und über deren Urheberrecht er verfügt, der Öffentlichkeit unter einer OSS-Lizenz zur Verfügung stellt. Nur in einzelnen Fällen würden demnach Regelungen auf Verordnungsstufe oder in einem formellen Gesetz notwendig werden.
EMBAG: Rechtsgrundlage zur Offenlegung von Software
Mit Art. 9 des am 17. März 2023 verabschiedeten Bundesgesetzes über den Einsatz elektronischer Mittel zur Erfüllung von Behördenaufgaben (EMBAG) wird eine Rechtsgrundlage zur Offenlegung von Software unter einer Open Source Lizenz geschaffen, welche der Bund entwickelt oder entwickeln lässt. Abs. 1 der Norm sieht vor, dass eine solche Offenlegung stets erfolgen soll, wenn dies möglich und sinnvoll ist, und die Rechte Dritter gewahrt bleiben.